In Deutschland stehen wir vor unvereinbaren Widersprüchen: Anders als in vielen anderen europäischen Ländern gibt es ein sehr hohes Umweltbewusstsein und einen starken grünen Mainstream. Wir sind insgesamt gut informiert über die Klimakrise, die Grünen entwickeln sich zu einer Volkspartei – doch gleichzeitig haben wir einen sehr hohen Pro-Kopf-Energieverbrauch.
Die privaten Haushalte benötigten im Jahr 2018 etwa gleich viel Energie wie im Jahr 1990 und damit gut ein Viertel des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland. Im langjährigen Trend ist nur der Wärmeverbrauch rückläufig, während der Verbrauch von Kraftstoff und Strom nahezu konstant geblieben ist.
Je mehr wir verdienen, desto mehr Energie verbrauchen wir
Das ist aber nicht der einzige Widerspruch. Denn in Deutschland wird der Bildungsstand immer noch maßgeblich vom Einkommen beeinflusst – und umgekehrt. Gleichzeitig hängt ein hohes Umweltbewusstsein davon ab, wie gebildet jemand ist. Je mehr Bildung, desto mehr Bewusstsein entsteht dafür, wie es um den Klimaschutz steht. Und trotzdem führt ein höheres Einkommen nicht dazu, dass wir das Klima mehr schützen. Ganz im Gegenteil: Je mehr wir verdienen, desto mehr Energie verbrauchen wir. „Offenbar gibt es Mechanismen, die auch die sehr Einsichtigen fest in dem Modus halten, dass sie viel Energie verbrauchen. Diejenigen, die ein geringes Einkommen haben, haben schlicht weniger Möglichkeiten viel Energie zu verbrauchen“, sagt Dr. Anita Engels, Professorin für Soziologie, insbesondere Globalisierung, Umwelt und Gesellschaft von der Universität Hamburg in einer Online-Ringvorlesung zum Thema.
Aber warum verharren wir so sehr im Status Quo?
Laut Bundesumweltamt benötigen private Haushalte mehr als zwei Drittel ihres Endenergieverbrauchs, um Räume zu heizen. Woher die Energie dafür kommt, oder wie viel jeder einzelne genau verbraucht, ist den meisten Menschen aber gar nicht bewusst, so das Fazit einer Studie von Dr. Anita Engels. Erst wenn die Nachzahlung droht, machen sich die meisten darüber Gedanken. Entscheidend ist für viele vor allem die gefühlte Raumtemperatur, das, was sie unmittelbar spüren – und nicht ob sie etwa Erdgas oder Mineralöl nutzen.
Immobilienbesitzer setzen sich grundsätzlich mehr mit dem Thema auseinander als Mieter – allein schon, weil sie die einzelnen Posten besser wahrnehmen als ein Mieter, der nur eine Gesamtabrechnung bekommt. Für Immobilien-Eigentümer bedeutet das aber auch, dass sie mehr tun können, als nur einen Pullover anzuziehen und die Heizung runterzudrehen: Eine effektive Möglichkeit, um weniger Wärmeenergie zu verschwenden, ist die richtige energetische Sanierung: die Dämmung von Dächern und Wänden oder das Austauschen alter Heizkessel. Die gehen sie aber oft erst an, wenn es unbedingt sein muss.
Und wie sieht es beim Strom aus?
Immerhin: Bei der Wahl des Stromanbieters werden die Deutschen immer grüner. Seit 2015 steigt der Anteil der Menschen, die Ökostrom beziehen, kontinuierlich an. 2019 haben 12,67 Millionen Personen in Deutschland Ökostrom bezogen. Das sind knapp 25 Prozent.
Wenn man aber auf die Emissionen schaut, hat sich wenig geändert. Auch wenn die Geräte, die wir Zuhause nutzen, immer energiesparender werden: 2017 verursachten die deutschen Privathaushalte 94,7 Millionen Tonnen CO2-Emmissionen, und damit rund drei Tonnen mehr als noch zehn Jahre zuvor. Wieso? Weil wir schlichtweg immer mehr Geräte verwenden und damit die Energieeinsparungen wieder aufgehoben werden. Dazu kommt, dass die wenigsten Menschen tatsächlich wissen, wo die Energiefresser im Haushalt zu finden sind und wie sie die effizienter nutzen können. Vom Trockner bis zum Toaster benutzen wir eben das, was uns das Leben leichter macht – ohne uns über den Verbrauch und die Umwelt Gedanken zu machen.
Sparen und trotzdem mehr verbrauchen
Dazu kommt noch der Rebound-Effekt: und der gilt von der LED-Lampe, über die Hausdämmung bis zum Elektroauto. Wer ein energiesparenden Produkt kauft, neigt nämlich dazu, es häufiger zu benutzen. So drehen wir in unserem gut gedämmten Haus dann doch den Thermostat wieder hoch, um im T-Shirt rumspazieren zu können und verbrauchen letztendlich doch wieder mehr Energie als wir vorhatten.
Kann die Politik Einfluss nehmen?
Darauf zu setzen, dass jeder Einzelne seinen Energieverbrauch senkt, scheint also wenig aussichtsreich. Der Klimawandel spielt im Alltag der Menschen doch keine so große Rolle, wie es manchmal scheint. An die Moral zu appellieren und auf die Gefahr des Klimaschutzes immer wieder hinzuweisen allein, genügt also nicht, um das Verhalten der Einzelnen zu beeinflussen. Die nationale Politik kann durch Förderprogramme, Anreize oder Verbote Einfluss nehmen. Und international? Erst im Dezember haben sich EU-Staats- und -Regierungschefs auf ein Klimaziel 2030 von mindestens 55 Prozent geeinigt. Das bedeutet, dass die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in diesem Jahrzehnt um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken müssen. Ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Die neuen Hoffnungsträger
Statistiken zeigen: Für 81 % der 14- bis 22-Jährigen ist Umwelt- und Klimaschutz schon heute sehr wichtig, während es in der Stichprobe ab 23 Jahren nur 67 % sind. Für die Jugendlichen ist Umwelt- und Klimaschutz sogar das Thema, dem sie die höchste Wichtigkeit beimessen. Wenn diese jungen Leute, die ja am Ende auch in einem Privathaushalt wohnen, besser informiert sind und konsequent den Energieverbrauch bei sich Zuhause senken, könnte das langfristig auch etwas für die Allgemeinheit verändern.