29.03.22 Äpfel unter Strom Autor*in: Jost Burger • Lesedauer: 5 min.

Scroll to Read
Zusammenfassung

Oben Photovoltaik, unten Pflanzen: Agri-PV verbindet Landwirtschaft und Stromproduktion. Das Potenzial in Deutschland ist groß, die Politik zeigt sich interessiert.

Wer öfter mit dem Zug oder auf der Autobahn durch Deutschland unterwegs ist, hat sich an den Anblick schon gewöhnt: große Flächen mit Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen), die ehemalige Äcker und Wiesen bedecken. Und davon könnte es bald noch mehr geben – denn für den geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine große Zahl solcher Photovoltaik-Kulturen nötig.

Aber gleichzeitig braucht die Landwirtschaft nach wie vor Flächen. Außerdem gilt sie als einer der großen Verursacher von Treibhausgasen: Für rund 8,2 Prozent der deutschen Emissionen war sie laut Umweltbundesamt 2020 verantwortlich. Auf den ersten Blick scheint es also, als stünde hier der „Klimasünder“ Landwirtschaft der „sauberen“ Solarbranche im Weg.

Solarmodule schützen Pflanzen

Eine relativ junge Technologie soll nun dazu beitragen, diesen Konflikt zu lösen: Agri-PV. Dabei geht es darum, landwirtschaftliche Flächen – von der Beerenkultur bis zum Weideland – zugleich auch als Standort für Photovoltaikanlagen zu nutzen. Das würde nicht nur das Flächenproblem entschärfen, sondern könnte sich sogar günstig auf die Pflanzenkulturen auswirken. Denn der Klimawandel macht auch in Deutschland und Europa vielen Landwirten zu schaffen. Hitze, Trockenheit und Bodenerosion nehmen in vielen Gebieten zu. Mit Agri-PV können Landwirte diesen Problemen unter Umständen besser begegnen.

Wie das geht, zeigen mehrere Projekte, die in den vergangenen Jahren in Deutschland und Europa entstanden sind. So hat die BayWa r.e., Tochter der BayWa und Projektentwickler für erneuerbare Energieerzeugung, im März 2021 im niederländischen Wadenoijen auf den Äckern des Landwirts Rini Kusters eine Agri-PV-Anlage eingeweiht. Dort wachsen zum einen 4.500 Johannisbeersträucher, zum anderen erzeugen auf derselben Fläche 4.500 Solarmodule bis zu 1,2 Megawatt Strom. Der Solarpark versorgt 400 Haushalte.

Dafür wurden auf Aluständern in drei Metern Höhe waagrecht liegende PV-Module installiert. Die halbtransparenten Module lassen genug Sonnenlicht zu den Pflanzen durch, sodass sie gut gedeihen können. Regenwasser wird über Regenrinnen an den Modulen gesammelt und den Pflanzen über ein Bewässerungssystem zugeführt.

Die Module erzeugen aber nicht nur Strom – sie schützen die Pflanzen auch vor zu viel Sonne, Hagel und Starkregen. So entfällt die Notwendigkeit, sie mit Plastikfolien alle paar Jahre neu zu übertunneln. „Wetterextreme werden immer häufiger, und sie sind schädlich für die Pflanzen. Die Entwicklung von Pilzen auf den Früchten aufgrund eines zu nassen Klimas ist zum Beispiel ein Problem, das immer öfter auftritt“, sagt Landwirt Kusters und erklärt weiter: „Am heißesten Tag im Jahr 2020 war es unter den PV-Modulen zehn Grad kühler als in der Sonne. Am nassesten Tag blieben die Pflanzen trocken. Agri-Photovoltaik ist eine Technologie, an die ich wirklich glaube.“

Gezielt Licht durchlassen

Allerdings gibt es mehrere Arten von Agri-PV, die sich an die jeweiligen Besonderheiten vor Ort anpassen müssen. Zu den Herausforderungen gehört es zum Beispiel, den Pflanzen durch die unvermeidliche Verschattung nicht zu viel Licht zu nehmen. Eine Möglichkeit ist – neben dem Einsatz von semitransparenten Modulen –, Solarzellen im Wechsel mit lichtdurchlässigem Glas oder Kunststoff zu montieren. Bewegliche, nachgeführte Module wiederum passen ihren Aufstellwinkel sensorgesteuert dem Lichteinfall an. Das erhöht die Stromausbeute und sorgt durch den sich verändernden Schattenwurf zugleich dafür, dass die Pflanzen mehr Licht bekommen. Sogenannte bifaziale PV-Module schließlich sind doppelseitige Module, deren Solarzellen auf beiden Seiten Strom erzeugen.

Agri-PV muss aber nicht nur Strom liefern und den Pflanzen gleichzeitig genügend Licht übrig lassen. Die Stromerzeugung muss auch auf den Fuhrpark der Landwirte Rücksicht nehmen: Erntemaschinen – etwa für Kartoffeln – brauchen Platz, um unter und zwischen den PV-Modulen hindurchfahren zu können. Für Weide- oder Futterflächen gibt es Lösungen, die Solarmodule senkrecht aufzustellen. Dann haben die Tiere und der Traktor für die Heuernte genug Platz.

Das Austarieren zwischen Stromerzeugung und Pflanzenwuchs hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in einem Pilotprojekt zusammen mit der Hofgemeinschaft Heggelbach in Oberschwaben erprobt. Nahe am Bodensee wurden unter anderem auf Kartoffeläckern in fünf Metern Höhe schräg gestellte, nach Südwesten orientierte bifaziale Solarmodule errichtet.

Die Ergebnisse sind ermutigend. Beispiel Hitzesommer 2018: Zwar betrug die Stromausbeute auf dem Kartoffel-Acker mit PV-Modulen nur 83 Prozent der Ausbeute auf einer Vergleichsfläche ohne landwirtschaftliche Nutzung – weil die Module auf dem Kartoffelacker in größeren Abständen stehen müssen. Doch die teilweise Verschattung durch die Technik schützte wiederum die Kartoffeln vor der Sonne, was zu einem Ernteplus von drei Prozent im Vergleich zu einem ungeschützten Acker führte.

Ob das auch mit Äpfeln und Spalierobst möglich ist, untersucht BayWa r.e. seit Frühjahr 2021 zusammen mit dem Fraunhofer ISE auf dem Bio-Obsthof Nachtwey in Gelsdorf in Rheinland-Pfalz. Auf 9.100 Quadratmetern wurde eine PV-Anlage mit einer Leistung von maximal 285 Kilowatt errichtet. Die Projektpartner wollen herausfinden, inwieweit PV-Anlagen Pflanzen und Früchte vor schädlichen Umwelteinflüssen wie Hagel, Starkregen, Sonnenbrand oder Frost schützen können. Der erzeugte Strom soll unter anderem für einen E-Traktor und das Bewässerungssystem genutzt werden – auch das wäre ein Beitrag zur Reduzierung von CO2-Emissionen des Hofes.

EEG-Förderung für Agri-PV

Nach Berechnungen des Fraunhofer ISE reichen vier Prozent der deutsche Ackerflächen aus, um mit Agri-PV „bilanziell den gesamten, aktuellen Strombedarf (Endenergie) in Deutschland zu decken (rund 500 GWp installierte Leistung)“. Auch die Bundesregierung hat das Potenzial von Agri-PV erkannt. Im Februar 2022 veröffentlichten das Bundeswirtschaftsministerium, das Bundeslandwirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium eine gemeinsame Erklärung: Agri-PV-Anlagen sollen künftig auf allen Ackerflächen über das EEG gefördert werden.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht das grundsätzlich positiv, hat aber auch Bedenken: „Der geplante Ausbau von Agri-PV ermöglicht eine gute Doppelnutzung für Landwirtschaft und Stromerzeugung auf derselben Fläche“, sagt Bernhard Krüsken, DBV-Generalsekretär. „Der Ausbau sollte aber nicht auf Ackerflächen begrenzt werden, sondern muss vor allem auf landwirtschaftlich nicht oder wenig nutzbare Extensivflächen ausgedehnt werden. Für den vorgesehenen PV-Zubau müssen auch Konversionsflächen, Truppenübungsplätze, Schutzgebiete oder extensives Grünland mit einbezogen werden.“

Marcus Vagt, Verantwortlicher für Agrarenergie bei der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), betrachtet das Thema differenziert. Für ihn kommt es darauf an, was angebaut wird: „Sonderkulturen-, Wein-, Obst- oder Gemüse mit oftmals erhöhtem Bedarf an Schutzmaßnahmen etwa vor Regen, Hagel, Wind oder sonstigen Umwelteinflüssen bieten hervorragende Möglichkeiten.“ Anders sehe es aber beim großflächigen Anbau von Weizen aus. „Wenn Sie auf einem Feld mit Brotweizen zusätzlich Solarmodule installieren, müssen ja trotzdem noch die Mähdrescher durchfahren und wenden können.“ Das sei in der Praxis oft nur schwer zu erreichen. Dadurch werde am Ende auf einer Fläche weniger PV-Strom erzeugt als möglich – und zugleich sinke auch der Ertrag von Lebensmitteln. „Die Teller oder Tank- oder in diesem Fall Teller oder Strom-Diskussion im Zusammenhang mit Biokraftstoffen lässt grüßen.“

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) begrüßt die Förderung von Agri-PV- Flächen. „Wir sehen Agri-PV als einen Baustein, um den Klima- und Naturschutzzielen näher zu kommen“, sagt Sebastian Scholz, Klimaexperte beim NABU. „Agri-PV kann ein Weg sein, um die knappe Ressource Fläche besser zu nutzen. Das ist am Ende auch gut für die Biodiversität, weil der Nutzungsdruck auf Biotope und andere naturschutzfachlich wertvolle Flächen sinkt.“



Haftungsausschluss

Die Inhalte dieser Website werden mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt. Uniper SE übernimmt jedoch keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der bereitgestellten Inhalte. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors und nicht immer die Meinung von Uniper SE wieder.