Schon heute kommt Wasserstoff in unterschiedlichsten Gebieten zum Einsatz. So werden zum Beispiel in der Chemie-Industrie, in Raffinerien und bei der Herstellung von Düngemitteln große Mengen des Elements benötigt. Wenn wir in Zukunft einen immer größeren Teil unserer Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen, kann Wasserstoff zusätzlich als Energiespeicher eingesetzt werden, um auch in windstillen Nächten Versorgungssicherheit und Netzstabilität zu gewährleisten. Für die deutsche Klimastrategie spielt Wasserstoff damit eine kaum zu überschätzende Rolle.
Wie groß der CO2-Fußabdruck des Elements selbst ist, hängt davon ab, wie es gewonnen wird. Heute wird ein wesentlicher Teil des Bedarfs mit „grauem Wasserstoff“ aus Erdgas gedeckt, bei dessen Herstellung Treibhausgase in die Atmosphäre entweichen. Die Bundesregierung setzt in ihrer nationalen Wasserstoffstrategie darum verstärkt auf „grünen Wasserstoff“, der via Elektrolyse aus Wasser hergestellt wird. Wirklich grün ist das Verfahren jedoch auch nur dann, wenn der verwendete Strom aus erneuerbaren Quellen stammt.
Man kann hier also von einem Zweistufen-Verfahren reden: Zuerst wird aus Sonnen- oder Windenergie elektrischer Strom gewonnen, welcher dann verwendet wird, um Wasserstoff herzustellen.
Auf direktem Weg von Sonnenenergie zu Wasserstoff
Eine revolutionäre Methode, an der die Wissenschaftler der CAU derzeit forschen, kommt dagegen mit nur einer einzigen Stufe aus: Hier wird Sonnenenergie direkt dazu verwendet, Wasserstoff herzustellen – ohne Umweg über Solarzellen und Stromleitungen und ebenfalls komplett CO2-neutral. „Wenn es gelingt, diesen Prozess in großem Maßstab nutzbar zu machen, dann wäre das die deutlich einfachere Methode“, erklärt die Leiterin des Projekts, Dr. Kirstin Gutekunst.
Die zentrale Zutat sind dabei die sogenannten Cyanobakterien. Diese auch als Blaualgen bekannten Kleinstlebewesen haben für sich ein Verfahren entwickelt, um aus Wasser, CO2 und Sonnenenergie Zucker herzustellen. Mit anderen Worten: Sie betreiben Photosynthese.
Dem Forscherteam ist es nun gelungen, durch die Fusion eines Enzyms – einer sogenannten „Hydrogenase“ – an das Photosystem I der Photosynthese so in diesen Ablauf einzugreifen, dass vor allem Wasserstoff produziert wird. Das Besondere an der Kieler Methode ist dabei die Tatsache, dass der Prozess in der lebendigen Zelle stattfindet. Anders als bei bisherigen Experimenten im Reagenzglas kann die Wasserstoffproduktion auf diese Weise potenziell unbegrenzt weiterlaufen. Damit wird Photosynthese zu einem ernstzunehmenden Kandidaten als Energielieferant der Zukunft.
Und das wäre auch – in mehr als einem Sinne – nur natürlich. Denn Photosynthese ist die Existenzgrundlage sämtlicher Ökosysteme auf der Welt: Sie ernährt Pflanzen, von denen sich wiederum Tiere und Pilze ernähren. „Auch wir Menschen leben ja von den Kohlehydraten, die allesamt durch die Photosynthese entstanden sind,“ betont Dr. Gutekunst. „Dass wir beide uns hier unterhalten können, liegt daran, dass uns die Photosynthese dafür die Energie liefert.“ Die Kieler Wissenschaftler wollen dieses Prinzip nun lediglich ausweiten, sodass wir auch in der Mobilität, der Industrie und der Energiewirtschaft von den Vorzügen der Photosynthese profitieren können.
Das Potenzial ist groß – die Fragezeichen auch
Noch sind wir davon jedoch ein gutes Stück entfernt. „Wir machen hier Grundlagenforschung“, betont Dr. Gutekunst und gibt zu bedenken, dass es noch eine ganze Reihe von Problemen zu beseitigen gilt, bevor das Verfahren im großen Stil zum Einsatz kommen kann.
So wird die für das Verfahren zentrale Hydrogenase zum Beispiel inaktiv, wenn sich zu viel Sauerstoff in der Umgebung befindet. Dieser entsteht während der Photosynthese jedoch unweigerlich, weshalb der Prozess im Moment noch durch einen zweiten, glukosebasierten Prozess ergänzt werden muss. Damit dies in Zukunft nicht mehr nötig ist, prüfen die Wissenschaftler gerade, ob das Verfahren auch mit anderen, weniger sauerstoffempfindlichen Varianten des Enzyms funktioniert.
Erst wenn diese und andere Hürden genommen sind, lässt sich der Nutzen der neuen Methode wirklich abschätzen. Auch Dr. Gutekunst ist darum vorsichtig mit Prognosen dazu, welche Rolle Wasserstoff aus Photosynthese in ein paar Jahrzehnten spielen könnte.
Das Potential ist jedoch fraglos riesig: „Wir sind an einem Punkt, an dem es sich auf jeden Fall lohnt, in die Forschung zu investieren. Dann wissen wir in etwa zehn Jahren, ob und in welchem Ausmaß das Verfahren nutzbar gemacht werden kann.“ Wenn man viele Menschen einbezieht und sich ganz auf ein Thema fokussiert, könne die Forschung in sehr kurzer Zeit sehr viel erreichen. Dafür sei es aber unerlässlich, dass Gesellschaft, Politik und Wissenschaft zusammenkommen, Perspektiven diskutieren, Forschungsmittel zur Verfügung stellen und gemeinsam voranschreiten.