Frau Dr. Grimm, wie wichtig ist das Thema Wasserstoff überhaupt für die Energiewende?
Wasserstoff und die darauf basierenden synthetischen Energieträger haben in dem Moment eine ganz entscheidende Rolle bekommen, als die EU das Ziel ausrief, vollständig klimaneutral werden zu wollen. Solange man nur eine 85-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen angestrebt hatte, war es immer möglich gewesen, Teile der Industrie und des Mobilitätssektors weiterhin fossil zu betreiben. Wenn wir aber Klimaneutralität anstreben, kommen wir ohne Wasserstoff und synthetische Energieträger nicht aus.
Nun ist Wasserstoff ja nicht gleich Wasserstoff. Es gibt grauen Wasserstoff, der CO2-intensiv aus Erdgas hergestellt wird – das ist heute die Norm. Dann gibt es blauen Wasserstoff, bei dem entstehende Klimagase eingefangen und eingelagert werden. Und es gibt grünen Wasserstoff, der klimaneutral durch Elektrolyse hergestellt wird. Die Frage ist: Auf welche Farbe sollten wir setzen? Oder kommt es auf die Mischung an?
Fest steht: Der Wasserstoff im Jahr 2050 muss grün sein. Wie wir jedoch dahin kommen, darüber scheiden sich die Geister. Ich wäre vorsichtig dabei, schon im Vorhinein festlegen zu wollen, welche Farbe nun genau der Wasserstoff zu jedem beliebigen Zeitpunkt haben sollte. Denn so kommen wir nicht voran. Wichtiger ist, dass wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber finden, um später Akzeptanz in der Bevölkerung zu haben. Die Diskussion zu dem Thema steht noch aus.
Und wie stehen Sie zu der Sache?
Ich selbst wäre da pragmatisch. Ich glaube einerseits, dass wir nicht in großem Umfang auf blauen Wasserstoff setzen sollten. Zum einen, weil die Gesellschaft dem Thema eher skeptisch gegenübersteht. Aber wir müssen auch aufpassen, dass solche Investitionen nicht den Übergang zu grünem Wasserstoff hemmen. Gleichzeitig kann diese Technologie da, wo sie gut in bestehende Industrieprozesse integrierbar ist und das abgeschiedene CO2 vielleicht sogar genutzt werden kann, als Übergangstechnologie durchaus Sinn machen.
Grundsätzlich muss man sehen, dass wir uns da mit einer deutschen Position nicht EU-weit oder auch global durchsetzen werden. So gibt es andere Länder, die sehr umfangreich auf blauen Wasserstoff setzen – Norwegen etwa. Dort gibt es aus der Gasförderung große unterirdische Speicher, wo schon heute CO2 eingelagert wird. Ungeachtet dessen, kommt es darauf an, den grünen Wasserstoff stark zu machen – indem man jetzt in Anlagen investiert und durch die Skalierung in eine Kostendegression kommt. Der grüne Wasserstoff muss günstiger werden – und das passiert typischerweise über Skalierung.
Wie ist Deutschland in dieser Hinsicht aufgestellt? Können wir hier eine führende Rolle übernehmen?
Was die technologische Expertise angeht, ist Deutschland exzellent aufgestellt. Denn vieles, was die deutsche Industrie gut kann, wird auch im Zusammenhang mit Wasserstoff gebraucht. Das reicht von unseren Fähigkeiten im Bereich der Logistik von Gasen bis zur Materialforschung und darüber hinaus. Jetzt kommt es im Rahmen der Wasserstoffstrategie darauf an, dass Anreize für Unternehmen geschaffen werden, massiv in solche Technologien zu investieren. Man muss der Wirtschaft dafür eine gewisse Sicherheit geben, was die Marktfähigkeit ihrer Produkte angeht – über eine berechenbare Politik der CO2-Preise und durch Reformen der Umlagen im Energiebereich.
Heißt das, die Weichen für die Zukunft des Wasserstoffs werden vor allem auf nationaler Ebene gestellt?
Auf nationaler Ebene hat man durchaus viele Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen zu entwickeln. Insofern ist es wichtig, dass man sich in Berlin über das Thema Gedanken macht. Gleichzeitig ist es richtig, dass sowohl die einzelnen Mitgliedstaaten, als auch die EU insgesamt Strategien vorlegen. Denn die Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft ist ganz klar eine internationale Angelegenheit, die auch über die EU hinausgeht – schon allein, weil die Vorzugsregionen für die Produktion von grünem Wasserstoff überall auf der Welt verteilt sind.
Übrigens darf man nicht vergessen, dass auch viele Bundesländer eigene Wasserstoffstrategien vorgelegt haben – in Bayern war ich dabei involviert. Auch das macht meiner Meinung nach viel Sinn, denn auf Länderebene hat man oft besseren Zugang zu den regionalen Akteuren. Die direkte Zusammenarbeit in Projekten vor Ort ist auch für die Akzeptanz sehr wichtig – bei den Akteuren selbst und in der breiteren Gesellschaft.
Ist denn beim Ausbau der Wasserstoffindustrie mit gesellschaftlichen Widerständen zu rechnen? Kann es hier – wie bei der Windkraft – zu „Not in my backyard“- Effekten kommen?
Das wissen wir noch nicht. Im Moment wirkt es oft so, als ob Wasserstoff und die darauf basierenden synthetischen Energieträger eine eierlegende Wollmilchsau wären. Diese Wahrnehmung wird auch dadurch gespeist, dass man als Bürgerin oder Bürger von vielen Vorzügen hört, aber noch gar nicht so viel damit in Berührung gekommen ist. Man hat die Erzeugungsanlagen noch nicht gesehen, es gibt noch keine Diskussion über mögliche Vorbehalte. Vor diesem Hintergrund finde ich es wichtig, Kommunen und regionale Akteure früh miteinzubeziehen, um Fragen der Akzeptanz rechtzeitig zu erkennen und adressieren zu können. Ich hoffe sehr, dass wir in der Kommunikation aus Erfahrungen bei den erneuerbaren Energien lernen können.
Letzte Frage: Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Todos, die wir in Deutschland jetzt angehen müssen?
Zunächst einmal müssen wir sehr ambitioniert an die Rahmenbedingungen ran. Also: Abgaben und Umlagen in der Strombepreisung runter und CO2-Preise hoch. So ein Umfeld macht nämlich schon ordentlich Strecke dabei, Geschäftsmodelle auch ohne weitere Förderung profitabel zu machen.
Dann ist es wichtig, Infrastrukturen auszubauen. Sowohl für den Transport von Wasserstoff, als auch für die Betankung von Fahrzeugen. Dies sind Aufgaben, die ganz Europa betreffen. Wer kauft zum Beispiel ein Fahrzeug, das er jenseits der Grenze nicht betanken kann?
Drittens müssen Forschung und Entwicklung gestärkt werden. Außerdem sollten diese Aktivitäten enger mit den Unternehmen verzahnt werden, sodass der Transfer von Wissen aus der Forschung in die Wirtschaft schneller geht. Dies zahlt gleichsam auch auf die Ausbildung der Fachkräfte der Zukunft ein.
Viertens müssen internationale Projekte vorangetrieben werden. Wir werden bei der Energie in Deutschland Netto-Importeur bleiben – und zwar nicht nur aus der EU, sondern aus aller Welt. Es ist also unsere Aufgabe, Vorzugsstandorte zu identifizieren und Partnerschaften zu schließen.
Und nicht zuletzt müssen alle Ebenen eng zusammenarbeiten, die jetzt strategisch aktiv sind: EU, Bund und Länder. Nur so kann dieses ambitionierte Vorhaben gelingen.
Da liegt ja eine lange Liste vor uns. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der gemeinsamen Umsetzung und danke herzlich für das Gespräch!